Nairobi, 5.11.2008
Die globale Finanzkrise hat – bislang jedenfalls – eher begrenzte Auswirkungen auf Kenia. In erster Linie wirkte sie sich auf den Aktienmarkt und die Finanzpolitik aus. Für weite Bevölkerungsschichten stellen, wie in vielen Ländern Afrikas, die Preissteigerungen für Nahrungsmittel das größte, sich aus der weltwirtschaftlichen Krise ergebende Problem dar. Dennoch wächst auch in Kenia die Verunsicherung über die Folgen der globalen Wirtschaftskrise – und das in einem Land, das sich gerade erst von den Folgen der Unruhen nach den Wahlen in den ersten Monaten des Jahres zu erholen begonnen hatte.
Finanzsektor und die globale Krise
Wie die meisten Länder Afrikas sah sich Kenia vor den unmittelbaren Auswirkungen der Finanzkrise zunächst geschützt. Aufgrund der offenen Wirtschaftspolitik ist das Bankensystem zwar durchaus mit der internationalen Finanzwirtschaft verflochten. Jedoch hatten kenianische Banken, soweit bekannt, aufgrund ihrer Randposition in der Weltwirtschaft und ihrer eher konservativen Geschäftspolitik wenig Interesse oder auch Gelegenheit, sich in größerem Stil am weltweiten Geschäft mit Hochrisiko-Papieren zu beteiligen. Um die dennoch für den afrikanischen Bankensektor bestehende Risiken aufzufangen, kündigte die International Finance Corporation (der privatwirtschaftliche Arm der Weltbank) Ende Oktober an, Mittel im Umfang von 3 Milliarden US-Dollar für etwaige Stabilisierungsmaßnahmen bereitzustellen. Im Ernstfall würden sie Banken in Kenia, Uganda, Ruanda, Äthiopien sowie Sierra Leone zugutekommen.
Bei allem Konservatismus hat der kenianische Finanzsektor in den vergangenen Jahren erheblich an Dynamik gewonnen und sich modernisiert. Dieser Prozess hat durchaus Parallelen zu internationalen Entwicklungen, er vollzog sich aber vor allem im nationalen Rahmen und in der Region Ostafrika. In erster Linie richtet er sich auf Kenias expandierenden Binnenmarkt: Seit 2004 wuchs das Bruttoinlandprodukt (BIP) jährlich zwischen 5 und 7 Prozent. Für 2008 wurde sogar ein noch stärkeres Wachstum erwartet.
Immobilienboom in Nairobi
Kenia erlebte in den vergangenen Jahren einen Boom der Immobilienpreise. Auch der Börsenindex in Nairobi erreichte zumindest bis Anfang 2007 immer neue Rekorde. Dies führte zu einer regelrechten Aktien-Euphorie, die ihren Höhepunkt am 8. Juni 2008 hatte, als das Telekommunikationsunternehmen Safaricom an die Börsen ging. Die Aktien-Erstausgabe von Safaricom war mehr als fünffach überzeichnet; mit 800.000 Aktienkäufern reichte das Interesse deutlich über die städtische Mittelklasse hinaus.
Der Finanzsektor Kenias hat sich modernisiert. Inzwischen werden von ihm Bevölkerungsschichten erreicht, die noch vor wenigen Jahren keinen Zugang zu einem Bankkonto oder bargeldlosem Geldtransfer hatten. Die Equity Bank beispielsweise, die ihre Dienstleistungen auch Menschen mit geringem oder unregelmäßigen Einkommen anbietet, hat in wenigen Jahren Bankkonten für rund 2,5 Millionen Kunden eingerichtet. Das von Safaricom angebotene M-Pesa-System ermöglicht es darüber hinaus Millionen von Kenianerinnen und Kenianern, selbst wenn sie kein Bankkonto besitzen, erstmals schnell, günstig und sicher Geld zu überweisen oder bargeldlos zu zahlen: Mit M-Pesa erfolgen die Transfers per SMS über das Mobiltelefon. Rund 3.000 registrierte Safaricom-Agenten im ganzen Land fungieren als Ausgabestellen für Bargeld.
Bisher hat die globale Bankenkrise vor allem zwei direkte Folgen für Kenias Finanzsektor gehabt. Erstens kam es im Oktober zu drastischen Kursverlusten an der Börse in Nairobi, deren Index sich nach der Safaricom-Euphorie ohnehin bereits im Abwärtstrend befand. Am 8.10. musste der Aktienhandel sogar kurzfristig ausgesetzt werden, weil die Tagesverluste die Fünf-Prozent-Grenze zu überschreiten drohten. Neben der ohnehin erwarteten „Normalisierung“ des Markts spielte es dabei womöglich auch eine Rolle, dass ausländische Investoren Anlagen in Kenia verkauften, um so Finanzproblemen in ihren Heimatländern zu begegnen; gesicherte Daten liegen dazu noch nicht vor.
Zweitens musste die kenianische Regierung ihren Plan aufgeben, eine Staatsanleihe („sovereign bond“) in Höhe von 300 Millionen US-Dollar aufzulegen, mit der die Entwicklung von Infrastruktur hätte finanziert werden sollen. Die geplante Emission sollte ein Ausweis des Ver¬trauens in die zurückgewonnene Kreditwürdigkeit (B-Rating von Standard & Poor’s) und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes sein. Nach Warnungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Zinsbelastung der Anleihe drohe unter den Bedingungen des Weltfinanzmarkts unkalkulierbar hoch zu werden, sagte die Regierung Ende Oktober die für Anfang 2009 geplante Emission ab.
Krise in Kenia, Rezession weltweit
Die schweren Unruhen nach den Wahlen vor allem zwischen Ende Dezember 2007 und Ende Januar 2008 forderten nicht nur 1.000 bis 1.500 Todesopfer. Sie brachten phasenweise auch die Ökonomie Kenias fast zum Stillstand. Der Tourismus, ein wichtiger Devisenbringer, erlebte einen massiven Einbruch; eine durchgreifende Erholung wird erst für die letzten Monate des Jahres erwartet. Massenvertreibungen und Flucht während der Krise – offiziell waren rund 300.000 Menschen betroffen, in der Realität wahrscheinlich noch deutlich mehr – führten auch zu Einbußen bei der landwirtschaftlichen Produktion, vor allem in der Rift Valley-Provinz. Darüber hinaus wurden durch die Unsicherheit in der westlichen Landeshälfte Transportwege unterbrochen und Handelsverbindungen in die Region, speziell nach Uganda, gestört. Insgesamt sank das kenianische BIP im ersten Quartal 2008 um 1 Prozent.
Erst nach dem Abschluss eines Abkommens zwischen Regierung und Opposition Ende Februar und der Bildung einer Großen Koalition (mit Präsident Mwai Kibaki und Premierminister Raila Odinga) im April begann die Normalität nach Kenia zurückzukehren. Unkenrufen zum Trotz hat die Große Koalition bislang recht gut funktioniert. Allerdings bergen die jüngst veröffentlichten Untersuchungen zu den Unregelmäßigkeiten während der Wahlen und zu den Gründen für den Gewaltausbruch erhebliche politische Sprengkraft.
Nach Ende der Krise beurteilten Beobachter die Aussichten für die kenianische Wirtschaft positiv, auch wenn sie die vor den Wahlen erstellte Prognose auf 4,5 Prozent Wachstum des BIP etwas nach unten korrigierten. Tatsächlich schien der Einbruch vom Jahresbeginn schnell überwunden; allein im zweiten Quartal wuchs das kenianische BIP um 3,2 Prozent.
Teures Benzin, teure Lebensmittel
Allerdings war diese Erholung von einem starken Anstieg der Inflationsrate – vor allem bei Nahrungsmitteln – begleitet. Nach Angaben der Zentralbank lag sie im Mai, im Vergleich zum Vorjahr, bei über 30 Prozent. Der Hintergrund war die weltweite Preissteigerung für Nahrungsmittel, Dünger sowie Energie; Benzinpreiserhöhungen schlagen in vielen Ländern Afrikas direkt auf die Preise für Nahrungsmittel durch.
In Kenia machen strukturelle Defizite bei der Produktion von Nahrungsmitteln seit Jahren erhebliche Importe notwendig. In der zweiten Jahreshälfte 2008 zeichnete sich eine regelrechte Hungerkrise am Horn von Afrika ab. Die Gründe sind sowohl wirtschaftlicher wie auch klimatischer Art. Betroffen waren auch Gebiete im nördlichen Kenia (mit über einer Million Einwohnern). Die internationale Gemeinschaft hat mittlerweile damit begonnen, umfangreich Hilfsgüter zu liefern.
Die Hungerkrise am Horn von Afrika betrifft zwar nicht die Bevölkerung in den Kerngebieten Kenias; doch auch dort sind die stark gestiegenen Kosten für Lebensmittel eine schwere Belastungen speziell für arme Bevölkerungsgruppen. Ob die steigenden Preise den kenianischen Kleinproduzenten zugutekommen werden, ist fraglich, da auch Dünger und Transport teurer werden. Zwar sind die Energiepreise in Kenia seit der Spitze des Ölpreises im August wieder etwas gefallen, doch prognostizierte der IWF im Oktober für 2008 eine Inflationsrate von 25 Prozent im Jahresdurchschnitt. Der Außenwert der kenianischen Währung war während und nach den Unruhen überraschend stabil geblieben. Im Verlauf des Oktober 2008 fiel der kenianische Shilling jedoch um rund 10 Prozent gegenüber dem US-Dollar, was die positiven Effekte sinkender Importpreise wieder relativiert.
Wackliger Haushalt
Ob sich unter den Bedingungen der globalen Krise die in dem im Juni beschlossenen Budget 2008-09 definierten makroökonomischen Zielmarken verwirklichen lassen, wird mehr und mehr fraglich. Das Budget war mit einem hohen Defizit (ca. 5,3 Prozent des BIP) kalkuliert worden, das vor allem aus hohen Steuereinnahmen, deren Realisierung inzwischen unklar geworden ist, Privatisierungserträgen sowie der Ende Oktober gestrichenen Ausgabe von Staatsanleihen finanziert werden sollte. Der Beitrag externer Geber zum Haushalt Kenias ist mit rund 11,6 Prozent zwar wesentlich geringer als in vielen anderen afrikanischen Staaten, doch steht wegen der weltweiten Krise und der Kritik an Korruption in Kenia nicht zu erwarten, dass diese Unterstützung aufgestockt wird.
Die Kritik des für brachiale Äußerungen berüchtigten kenianischen Finanzministers John Michuki auf der IWF-Jahrestagung Mitte Oktober, der IWF habe mangelnde Voraussicht gezeigt, und man solle „Sanktionen“ gegen die für die globale Finanzkrise verantwortlichen Länder einleiten, drückt vor allem Hilflosigkeit aus.
Die sich abzeichnende globalen Rezession wird für Kenia zu sinkenden Erträgen aus dem Export und geringeren Einnahmen aus dem Tourismus führen. Auch die Geldbeträge, die die kenianische Diaspora in die Heimat überweist – 2007 waren es insgesamt 574 Millionen US-Dollar (wobei nur offizielle Transfers erfasst werden) – und die erheblich zur Finanzierung vieler Haushalte und zu Investitionen beitragen, schrumpfen seit Mitte des Jahres.
Kenia hat gute Gründe, der näheren Zukunft mit Sorge und Verunsicherung entgegen zu sehen. Derzeit jedoch richten sich die Hoffnungen der Kenianerinnen und Kenianer vor allem auf den zukünftigen US-Präsidenten Barack Obama, dessen Vater aus ihrem Land stammte. Die Erwartungen, ein Präsident Obama werde die Dinge in Afrika und speziell in Kenia zum Besseren wenden, sind allerdings kaum realistisch.
Axel Harneit-Sievers ist Leiter des Regionalbüros Ostafrika / Horn von Afrika der Heinrich-Böll-Stiftung.
- Dossier: Wege aus der Weltwirtschaftskrise